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TK-Innovationsreport 2016: Qualität bei neuen Arzneimitteln gleich, Ausgaben verdoppeln sich

Steigende Arzneimittelausgaben sind für die gesetzlichen Krankenkassen seit Jahren eine Herausforderung. Der am 7. September von der Techniker Krankenkasse (TK) vorgestellte Innovationsreport 2016 zeigt, dass die neuen Arzneimittel des Jahres 2013 qualitativ nicht besser abschnitten als die Neuheiten des Jahres 2012 im Vorjahresreport. Nur eines der untersuchten Präparate konnte mit einer "grünen Gesamtampel" die Bestnote erreichen.

08.09.2016

Neun bewertete der Report mit "gelb", und 13 fielen mit einer "roten" Gesamtwertung gleich ganz durch. Unverständlicherweise hat sich der durchschnittliche Preis pro Packung im Jahr nach der Markteinführung für ein neues Arzneimittel mehr als verdoppelt. So kosteten die Neuheiten des Jahres 2012 durchschnittlich 670 Euro pro Packung, die neuen Arzneimittel des Jahres 2013 1.418 Euro. Daher sind die Ausgaben für neue Arzneimittel des Jahres 2013 im Jahr nach der Markteinführung zu Lasten der TK mit 54,6 Millionen Euro ebenfalls nahezu doppelt so hoch wie der Umsatz für die Neuheiten des Jahres 2012 im vergleichbaren Zeitraum.

Das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) von 2011 sollte eigentlich die Kosten dämpfen und die Qualität verbessern. Obwohl es ein an sich gutes Instrument ist, hat es die in die Neuregelung gesetzten Hoffnungen bislang nicht erfüllt. Schnell wurde beim AMNOG von einem "lernenden System" gesprochen, und nach dem Pharmadialog soll es erneut angepasst werden.

"Die nun nach dem Pharmadialog geplanten Veränderungen führen in die falsche Richtung", so Dr. Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der TK. "Werden die Vorschläge der Industrie wie geplant umgesetzt, wird sich das sicherlich auf die Zusatzbeiträge der meisten Kassen auswirken."

Problematisch ist vor allem, dass gute Grundsätze aufgeweicht werden sollen. Bisher wird ein neues Medikament mit einer bestehenden Therapie verglichen. Hat es gegenüber dieser Vergleichstherapie keinen Zusatznutzen für die Patienten, darf es auch nicht teurer sein. "Von diesem Prinzip soll nun abgerückt werden", so Professor Dr. Gerd Glaeske von der Universität Bremen. "Wir kommen dann wieder an einen Punkt, an dem wir mehr Geld für ein Arzneimittel ausgeben, nur weil es neu ist und nicht weil es besser ist. Dabei hat das AMNOG in seiner jetzigen Form seine gesetzten Ziele noch nicht erreicht."

Die steigenden Ausgaben sollen durch eine Umsatzschwelle eingedämmt werden. Ist sie erreicht, soll der verhandelte Erstattungspreis rückwirkend gelten. Eine Höhe von 250 Millionen Euro im ersten Jahr nach Markteinführung wird derzeit diskutiert. "Kurz gesagt: Für ein neues Medikament bezahlen die Versicherten erst dann einen fairen Preis, wenn sie bereits eine Viertelmilliarde an die Industrie überwiesen haben", so Baas. "Ein Medikament hat entweder einen Zusatznutzen oder nicht. Eine Schwelle, bis zu der die Beitragszahler unnötigerweise zur Kasse gebeten werden, lässt sich fachlich nicht begründen." Der TK-Chef fordert: "Stattdessen muss der verhandelte Preis bereits rückwirkend ab dem Tag der Markteinführung gelten."

Zudem hätte die Schwelle in dieser Höhe kaum einen kostendämpfenden Effekt: 2015 wären nur wenige Medikamente von dieser Regelung betroffen gewesen, darunter das extrem teure Präparat Sovaldi gegen Hepatitis C.

Erneut nur eine Ampel auf "grün"

Der Innovationsreport 2016 untersuchte die neuen Präparate des Jahrgangs 2013 wieder nach dem Ampelschema. Dabei konnte nur eines die Bestnote, eine "grüne Gesamtampel" erreichen. Neun Präparate wurden mit "gelb" bewertet und 13 mit "rot". Somit konnte auch der dritte "AMNOG-Jahrgang" kaum mit echten Innovationen überzeugen. Erneut zeigt sich aber, dass mehr als die Hälfte der Präparate dennoch bereits in die medizinischen Leitlinien aufgenommen wurden. Insgesamt hat die TK für die untersuchten 23 Präparate im vergangenen Jahr 76 Millionen Euro ausgegeben. Die Unsicherheit bei der Einführung neuer Arzneimittel besteht zwei bis drei Jahre: Fünf der bewerteten Medikamente sind mittlerweile wieder vom Markt genommen worden.

Der Anteil onkologischer Präparate war mit neun von 23 neuen Präparaten (40 Prozent) erneut auffallend hoch, was sich auch bei den Ausgaben bemerkbar macht. 65 Prozent der Ausgaben für die untersuchten Präparate entfielen 2015 auf diese Medikamente - ein weit überproportionaler Anteil.

"Wir schauen heute vorsichtig optimistisch in die Zukunft, da zumindest durch einige der neuen Arzneimittel Fortschritte in der medikamentösen Behandlung von Krebserkrankungen erzielt werden", so Professor Dr. Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. "Das ist auch dringend notwendig und natürlich sehr zu begrüßen, allerdings sind die Kosten hierfür - heute schon bis zu 100.000 Euro pro Jahr und Patient - meist nicht am patientenrelevanten Nutzen orientiert und deshalb auch nicht gerechtfertigt."

Hier weist das AMNOG eine Lücke auf, denn die sehr teuren Präparate werden zunehmend in Kombinationen eingesetzt, und die Kosten werden weder durch das AMNOG noch durch die Umsatzschwelle aufgefangen. Ludwig: "Die ethische und medizinische Debatte über die exorbitanten Preise in der Krebsmedizin werden wir in der Gesellschaft führen müssen."

Die TK fordert mehr Transparenz

Ein wichtiges Instrument, um die Qualität und Wirtschaftlichkeit der Versorgung zu steigern, ist Transparenz. Der Innovationsreport bildet dabei schon ein Gegengewicht zu den Verkaufsveranstaltungen der Pharmavertreter in den Arztpraxen oder auf Fortbildungen. Der Report basiert auf einer gut verständlichen Ampelbewertung. Ganz ähnlich könnte demnächst der Arzt über seine Praxissoftware über den Zusatznutzen informiert werden, wenn er ein Medikament verordnet. Doch der Pharmaindustrie wird hier seitens der Regierung wohl ein Mitspracherecht eingeräumt. Schon werden Stimmen laut, die ein einfaches Ampelsystem ablehnen. Dabei wäre es ein großer Transparenzsprung, wenn der verordnende Arzt in seiner Praxissoftware sofort sieht, ob das Medikament, das er verordnen will, überhaupt einen Zusatznutzen für seinen Patienten hat.

"Es ist absolut unverständlich, dass die Pharmaindustrie an dieser sensiblen Stelle des Informationsflusses an den Arzt eingreifen soll", so Baas. "Wenn die Hersteller bei der Ausgestaltung beteiligt werden, ist das in etwa so, als wenn sich Schüler selbst die Noten geben - nur leider auf Kosten der Solidargemeinschaft."

Regionale Unterschiede im Verordnungsverhalten

Auffällig ist, dass neue Arzneimittel sehr unterschiedlich verordnet werden. Medikamente, die mit einer roten Nutzenampel bewertet wurden, sind in den neuen Bundesländern (außer Mecklenburg-Vorpommern) und Hamburg deutlich häufiger verschrieben worden. "Das ist ein weiteres Indiz dafür, dass es notwendig ist, Ärzten flächendeckend eine praxisnah aufbereitete Zusammenfassung der Bewertungsergebnisse des G-BA zur Verfügung zu stellen", ergänzt Prof. Dr. Petra Thürmann Direktorin des Philipp-Klee-Instituts für klinische Pharmakologie am HELIOS Klinikum Wuppertal.

Pharmaunternehmen sollten ganzes Sortiment anbieten

Die Pharmaunternehmen sollten in Deutschland ihr volles Sortiment anbieten oder andernfalls einen Sonderabschlag zahlen. In der Vergangenheit wurden neue Medikamente mit großen Budgets beworben und dann wieder vom Markt genommen. Meist waren dann viele Patienten auf das neue Produkt eingestellt und die Industrie hatte in den ersten zwölf Monaten der freien Preisbildung damit viel verdient.

Das führt zu unakzeptablen Mehrausgaben für die Solidargemeinschaft und großen Verunsicherungen bei Patienten und Ärzten. Auch im diesjährigen Innovationsreport sehen wir, dass fünf der 23 Präparate des Jahrgangs 2013 nicht mehr in Deutschland auf dem Markt sind und ein weiteres nicht mehr in allen Wirkstärken. "Nimmt ein Hersteller ein Präparat aufgrund des AMNOG-Verfahrens vom Markt, sollte er einen höheren Rabatt auf sein übriges Sortiment gewähren müssen", so Baas. "Der Pharmadialog hat auch gezeigt, wie wichtig Deutschland für den weltweiten Arzneimittelmarkt ist. Diese starke Marktposition sollte die Politik dafür nutzen, die Industrie davon abzuhalten, sich in Deutschland die Rosinen herauszupicken, und sie stattdessen stärker in ihre ethische Verantwortung nehmen."

Pressekontakt:

Dennis Chytrek
Tel.: Telefonnummer:040 - 69 09-30 20
E-Mail: dennis.chytrek@tk.de

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