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Die Mortalitätsrate darf nicht alleiniges Kriterium einer guten Schlaganfallversorgung sein

Im Zuge der gesundheitspolitischen Qualitätsoffensive beabsichtigt das Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG), die Mortalitätsrate als Schlüsselindikator für gute oder schlechte Schlaganfallversorgung einzuführen. Das greift aus Sicht der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) und der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) zu kurz und ist mit den Interessen schwerbetroffener Patienten nicht vereinbar.

28.07.2016

Die Mortalitätsrate ist, isoliert betrachtet, kein Kriterium für gute stationäre Schlaganfallbehandlung. Auch die palliativmedizinische Betreuung und eine menschliche Sterbebegleitung im Krankenhaus müssen als Therapieziel, Kernkompetenz und medizinische Versorgungsqualität einer fortschrittlichen Schlaganfallmedizin anerkannt werden.

Die enormen Fortschritte in der Diagnostik und Akutbehandlung des ischämischen Schlaganfalls haben in den letzten Jahren dazu beigetragen, dass viele Patienten vor dem Tod oder einer dauerhaften Behinderung bewahrt wurden (1–4). Dynamisiert wurde diese positive Entwicklung im Jahr 2015 durch den wissenschaftlichen Nachweis der Effektivität der mechanischen Thrombektomie (4–11), die es jetzt flächendeckend zu etablieren gilt. Trotz dieser erneuten Aufbruchsstimmung in der Schlaganfall-Akutbehandlung – nach Einführung der Stroke Units und der systemischen Thrombolyse (12) – wird es auch in Zukunft Betroffene geben, die aufgrund des Schlaganfalls massive neurologische Defizite zurückbehalten. Denn nicht jeder Schlaganfallpatient profitiert von den modernen Therapiemethoden, die eine frühzeitige Rekanalisierung verschlossener Hirngefäße voraussetzen, und nicht alle Patienten erfüllen die definierten Einschlusskriterien der interventionellen Therapiemaßnahmen.

Mit der Diskussion über die Sterblichkeitsrate als vermeintlich aussagekräftigen Schlüsselindikator für die Qualität der stationären Schlaganfallbehandlung im Krankenhaus wird der Öffentlichkeit ein vordergründig einleuchtender Parameter für gute oder schlechte Behandlung suggeriert. Der alleinige Fokus auf das Überleben setzt jedoch Fehlanreize für eine Behandlungskultur, in der im Bestreben, den Schlaganfall „unter Kontrolle“ zu bekommen, auch schwerstbetroffene Schlaganfallpatienten lebensverlängernde Therapien erhalten und nicht mehr, ihrem erklärten oder mutmaßlichen Willen entsprechend, palliativmedizinisch begleitet im Krankenhaus sterben dürfen.

Wird die Sterblichkeitsrate zum ausschlaggebenden Maßstab für Qualität, besteht zudem die Gefahr, dass unter den schlaganfallversorgenden Kliniken ein Wettbewerb nach der Maxime „bei uns wird nicht gestorben“ entfacht wird. Und dass Schwerstkranke, die nach sinnvoller Ausschöpfung akuter Therapiemaßnahmen keine Chance auf eine für sie akzeptable Lebensqualität haben, eine unangemessene lebenserhaltende Therapie bekommen, um sowohl hohe Erlöse zu erzielen als auch in der Qualitätsstatistik den Anschein hoher Behandlungsqualität zu vermitteln.

Gute oder schlechte Schlaganfallversorgung lässt sich nicht allein an der Überlebensrate messen. Die Prozess- und Ergebnisqualität der Akutphase muss durch eine kompetente Palliativmedizin für diejenigen Patienten, die von der zunächst initiierten lebenserhaltenden und behinderungsreduzierenden Therapie nicht profitieren, ergänzt werden. Hohe Versorgungsqualität impliziert auch eine engagierte Sterbebegleitung, die einen menschenwürdigen Tod im Krankenhaus zulässt.

Ein kombinierter Qualitätsindikator für eine vertrauenswürdige Schlaganfallmedizin muss sowohl das kurative diagnostische und therapeutische Vorgehen berücksichtigen als auch eine kritische Indikationsstellung und ethisches Augenmaß mit Respekt vor der Selbstbestimmung des Patienten. Unter diesen Vorzeichen wären ein zukunftsorientierter Wettbewerb und eine echte Qualitätsoffensive seitens der Leistungsanbieter für Schlaganfallpatienten hilfreich.

Eine verlässliche und differenzierte Grundlage dafür liegt bereits vor: Die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Schlaganfallregister (ADSR) hat schon 2006 evidenzbasierte Qualitätsindikatoren definiert (3), die sich seit Jahren im Stroke-Unit-Zertifizierungsverfahren bewähren (13).

Der ausführliche Artikel findet sich im Deutschen Ärzteblatt.
Nacimiento W., Töpper R., Erbguth F., Höfling W., Voltz R., Brassel F. Mortalitätsrate allein kein Kriterium für eine gute Versorgung. Dtsch Ärztebl 2016; 113 (13): A 595–8

 

Quellen

  1. Nimptsch U, Mansky T. Trends in der akutstationären Schlaganfallversorgung in Deutschland. Dtsch Ärztebl Int 2012; 109: 885–92
  2. Nimptsch U., Mansky T. Stroke Unit care and trends of in-hospital mortality for stroke in Germany 2010. Int Journal of Stroke, 2014; Vol9: 260–65
  3. Wiedmann S, Heuschmann PU, Hillmann S, Busse  O, Wiethölter H, Walter GM et al. Qualität der Behandlung des akuten Schlaganfalls. Dtsch Ärztebl Int 2014; 111: 759–65
  4. Koton S, Schneider ALC, Rosamond WD, Shahar E, Sang Y, Gottesmann RF et al. Stroke Incidence and Mortality Trends in US Communities, 1987 to 2011. JAMA 2014; 313 (3): 259–268
  5. Berkhemer OA, Fransen PSS, Beumer D et al. A randomized trial of intraarterial treatment for acute ischemic stroke. N Engl J Med 2015; 372: 11–20
  6. Campbell BCV, Mitchell PJ, Kleinig TJ et al. Endovascular therapie for ischamic stroke with perfusion-imaging selection. N Engl J Med 2015; 372: 1009–18
  7. Goyal M, Demchuk AM, Menon BK et al. Randomized assessment of rapid endovascular treatment of ischemic stroke. N Engl J Med 2015; 372: 1019–30
  8. Saver JL, Goyal M, Bonafe A et al. Stent-retriever thrombectomy after intravenous t-PA vs
    t-PA alone in stroke. N Engl J Med 2015; 2285–95
  9. Jovin TG, Chamorro A, Cobo E et al. Thrombectomy within 8 hours after symptom onset in ischemic stroke. N Engl J Med 2015: 2209–306
  10. Furlan, AJ. Endovascular therapy for stroke – It’s about time. N Engl J Med 2015; 372: 2347–49
  11. Bendszus M, Ringleb PA. Interventionelle Behandlung des Schlaganfalls. Nervenarzt 2015;
    86: 1199
  12. Ringelstein EB, Busse O, Ritter MA. Current concepts of Stroke Units in Germany and Europe. SANP 2011; 162 (4): 155–60
  13. Nabavi DG, Ossenbrink M, Schinkel M, Koennecke HC, Hamann G, Busse O. Aktualisierte Zertifizierungskriterien für regionale und überregionale Stroke-Units in Deutschland. Nervenarzt 2015; 1–9

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Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener
Tel.: +49 (0)89 46148622
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